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Kämpferherz

9. April 2020

Von Arne Kopfermann // Vor drei Wochen wurde ich in einem Interview gefragt, wie sich meine Glaubensüberzeugungen im Laufe der letzten Jahre verändert haben und welche grundlegenden Gedanken mir heute wichtig sind. Im Verlauf des Gespräches wechselte mein Interviewpartner plötzlich die Perspektive und sagte: „Nun haben wir länger darüber gesprochen, was Du tust und was Du gerade glaubst. Ich wüsste jetzt gerne noch: wer bist Du?“ Damit hatte er mich erst einmal auf dem falschen Fuß erwischt. Denn obwohl ich nicht auf den Mund gefallen bin, gibt es auf eine solch existentielle Frage keine schnelle Antwort, die ich mal eben aus der Hüfte hätte schießen können. Aber nach ein paar Minuten habe ich es so formuliert: „Ich bin ein Kämpfer, der auf die harte Tour lernen musste, mit seiner Verletzlichkeit zu leben.“ 

Und in dem Moment, als ich diesen Satz ausgesprochen habe, wurde mir bewusst, dass diese Beschreibung sehr gut in die Tage und Wochen passt, die uns seit dem Ausbruch der Corona Pandemie auch in Deutschland begleiten. Viele von uns kämpfen um ihre Existenz, um emotionales Überleben in der Isolation, um ein harmonisches Miteinander auf engstem Raum in ihrer Familie. Wir müssen für andere stark sein und fühlen uns innerlich doch nicht gewappnet. Zeiten wie diese führen uns unsere Zerbrechlichkeit vor Augen. Man kann ihr mit Durchhalteparolen („Jetzt erst recht“) oder mit Beschwichtigungen („Wird schon“ oder fromm „Easy, Gott hat alles unter Kontrolle“) begegnen, aber Sätze wie der der Kanzlerin in ihrer ersten öffentlichen Corona-Rede („Das ist die schlimmste Krise Deutschlands seit dem Ende des 2. Weltkriegs“) machen uns deutlich, wie wenig wir unser Leben eigentlich in der Hand haben.

Ich habe seit meiner Schulzeit Wege finden müssen, mich gegen Ungerechtigkeit und Ablehnung zu behaupten. Meinen Selbstwert aus einer anderen Quelle als der von persönlichen Errungenschaften und Leistungen zu nähren. Aus dem Schatten eines liebevollen, aber sehr starken und prägenden Vaters, der auch mein Pastor und geistlicher Mentor war, heraus zu treten und meinen eigenen Weg zu finden. Ich habe als Musiker, Autor, Produzent und Songschreiber, Ehemann, Familienvater und Freund mit voller Hingabe und großer Disziplin Kämpfe gekämpft, von denen viele aufgrund meiner Biografie sicher sinnvoll waren, andere dagegen unnötiger und durchaus vermeidbar. Ich habe viel bewegt, aber nicht immer aus den richtigen Motiven. Und ich wurde mir dann am letzten Sommertag 2014 beim Tod meiner Tochter von einem Moment auf den nächsten meiner eigenen Verwundbarkeit bewusst. In einer Zuspitzung, wie ich es wohl nie für möglich gehalten hätte. Diese Verletzlichkeit ist ein Teil von mir geblieben, und sie reicht viel tiefer als das bloße Empfinden von Ungerechtigkeit oder das Erlebnis von Misserfolg. Zuerst hat mich das gelähmt und mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen. Dann kam wieder das Kämpferherz ins Spiel. Ich habe von meinem Freund Samuel Koch den Satz gelernt, dass „Aufgeben keine Option ist“. Und vermutlich trägt mich dieses Motto schon viel länger, als mir bewusst war. Noch viel länger trägt mich der Gott, für den tausend Jahre wie ein Tag sind. Der sich nicht in die Karten schauen und das Heft nicht aus der Hand nehmen lässt. Der mich nicht nötig hat. Aber dessen Liebe zu meinem Lebenselixier geworden ist.

Wir erleben die Karwoche dieses Jahr ganz anders als in den vergangenen Jahren. Das bedeutet aber nicht, dass da weniger Schätze zu entdecken wären. Das Angebot von Jesus, „uns die Füße zu waschen“ (Joh. 13, 1-15), wie er das vor dem letzten Abendmahl bei seinen Jüngern getan hat, schließt mit ein, dass er sich unsere Füße anschaut. Die sinnbildlich für alle Wege stehen können, die wir gegangen sind und noch gehen werden. Leichte und schwere Wege. Die Vorstellung, dass er vor jedem von uns kniet und uns die Füße wäscht – also auch die Verschmutzungen unserer Lebensreise anschaut, ohne sie verurteilen, sondern stattdessen die dunklen und verletzten Stellen zu reinigen – ist ein wenig bloßstellend, aber ungemein liebevoll. Am Ende gibt er seinen Jüngern den Auftrag, in Zukunft das gleiche zu tun. Nehmen wir das doch als Bild für unsere Gemeindefamilie, in diesen Tagen um Ostern besonders gut auf einander zu achten: angefangen mit denen, die durch Lounges oder Dienstgruppen in unserem engeren FCC Umfeld sind. Gott steht uns bei, gerade in den Freunden und Freundinnen der Gemeinde!

 


Wenn Ihr mögt, schaut doch in das Video rein, das vor drei Wochen entstanden ist:

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